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Der mit der Farbe tanzt - zu den Arbeiten von Kurt Woldmann

„Stellen Sie sich vor, Sie könnten alle verschiedenen Augenblicke so betrachten, wie Sie z.B. die Gebirgszüge der Rocky Mountains betrachten können. Sie könnten sehen wie Augenblicke fortdauern. Vielleicht ist es ja nichts weiter als eine Illusion, zu glauben, daß ein Augenblick dem anderen folgt wie Perlen auf einer Schnur, und daß, wenn ein Augenblick vorbei ist, er für immer vorbei ist.“ (Kurt Vonnegut/Slaughterhouse Five)In den zwischen 2000 und 2003 entstandenen Bildern des Künstlers Kurt Woldmann ist die Oberfläche der Leinwand in Bewegung geraten.
Das was wir sehen, ist kein statisches Erlebnis, die Welt, die uns in seinen Bildern vorgeführt wird, ist flüchtig, rauscht an uns vorbei, wird zur Momentaufnahme. Halt, möchte man rufen, bewege ich mich oder ist es das Bild, das sich vor meinen Augen bewegt? Die Eindeutigkeit des Raum-Zeit-Kontinuums ist aufgehoben, eine verbindliche Perspektive gibt es nicht mehr, übrig bleibt eine Welt herum wirbelnder Splitter und Partikel, die sich soeben neu zusammenfügt und droht, bereits im nächsten Augenblick, wieder auseinander-zufliegen. Werden und Vergehen, alles ist Gleichzeitig.
Woldmann bewegt sich malerisch zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Objekte und Figuren sind ahnbar, Form und Gestalt grenzen sich jedoch nicht eindeutig von der Umgebung ab, beides durchdringt sich, löst sich ineinander auf wie auf einer bewegten Wasseroberfläche, als stünde alles zu jedem Zeitpunkt miteinander in Beziehung, als sei Form nichts feststehendes, sondern relativ, und vielmehr eine Frage des momentanen Farbanteils.Die Acrylmaltechnik ermöglicht dem Künstler ein schnelles, spontanes Arbeiten, durch das Übereinanderlegen von Farbschichten wird räumliche Tiefe erzeugt, die im Kontrast zur zweidimensionalen Rhythmik der Farbe auf der Leinwand steht.
Gestus und Duktus sind expressiv und machen die Oberflächentextur immer wieder zum eigentlichen Inhalt. Reisen nach Sri Lanka, Afrika und Südamerika haben Woldmann zu einer kontrastreichen Palette angeregt, Komplementärfarben setzt er nebeneinander und Gegensatzpaare wie warm - kalt, spitz - rund, organisch - anorganisch, schließen sich in seinen Bildern nicht aus, sondern fügen sich zu einem spannungsreichen Ganzen.„Ich arbeite an Farbräumen und das auf aggressive Weise. Die extremen Farben, die ich verwende, fordern von mir Reaktionen und ich merke sofort, wenn ich angegriffen werde, dann versuch ich die Farbe zu tilgen, sie zu kontrollieren, aber gleichzeitig will ich sie zulassen, mich ihr ausliefern, auch körperlich ...“
Großflächige Formate (u.a. 190 x 290) entsprechen seinem körperlichen Bewegungs-drang, die Malerei versteht er als dynamischen Prozess, seine Arbeitsweise könnte man auch mit - der mit der Farbe tanzt – beschreiben.„Ich brauche die Möglichkeit auf Abstand zu gehen, dann wieder zoome ich heran, krieche ins Detail, wie mit der Kamera. Meine Bewegung, meine Dynamik soll sich dabei auf die Leinwand übertragen“.
In zeitgenössischer, afrikanische Kunst fand Woldmann ein Selbstverständnis, das ihn beeindruckte. Die Bilder empfand er als direkt und gefühlt, außerdem verfügten sie über eine allgemeinverständliche Symbolsprache. Inhaltlich sollen auch Woldmanns Bilder für sich selbst stehen und nicht zwangsläufig auf einen theoretischen Kontext verweisen.„Alle Gegenwart lebt von der Flüchtigkeit und das Flüchtige lebt für den Moment der Gegenwart, der ihm nicht Zeitsegment ist, sondern das Ganze, Zeit.“ (B. Guggen-berger)

Text von Peter Funken

Als Maler bewegt sich Kurt Woldmann zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion und schafft dabei Bilder von hoher Farbintensität. Wichtig sind ihm die Geste und die raumgreifende Komposition, wobei die Strukturierung des Bildraumes, die Darstellung von Bewegungsphasen, die Entwicklung, der Verlauf und die Veränderung einer Bewegung immer wieder eine zentrale Rolle in seinen Bildern spielen.Das erinnert kunsthistorisch gewiss auch an Ansätze des Futurismus und an die Malerei der französischen Fauves – der sogenannten Wilden, die als Vorläufer der Kubisten verstanden werden – aber in Woldmanns Malerei entdeckt man auch dermaßen viel Eigenständiges und Weiterführendes, dass solche Vergleiche zu kurz sind.
Typisch für ihn ist auch die sogenannte organische Form, die man in seinen Bildern entdecken kann – es ist eine biomorphe Figur, die in sich ein Entwicklungspotential hat, die ganz ruhig und in sich verschlossen ist und doch anscheinend gleichzeitig etwas in sich birgt, das zur Entwicklung drängt – ganz ähnlich einem Kokon, in dem ein Schmetterling verpuppt ist.